Professor Omadd, emeritierter Rektor des Kollegs der Synergetik zwirbelte unruhig sein Ohr, während er darauf wartete, dass die Sylvari wieder zu sich kam. Sie schlug im Isoliermodul nun schon seit Tagen wild um sich, gab willkürliche Laute von sich und heulte … vor Schmerz? Vor Ekstase? Omadd war sich nicht sicher. Selbst ein Genie seines Kalibers konnte nur raten, was im Inneren des belaubten, grünen Kopfes vorging.
Omadd ballte die Faust und quetschte sein Ohr so lange, bis ihm die Tränen in die Augen schossen. Die vielversprechendste Schülerin, die er je unterrichtet hatte, führte das wichtigste Experiment seiner langen und geschichtsträchtigen Karriere durch, und er konnte nichts weiter tun als dastehen und sich sorgen.
Die Frau keuchte auf und krümmte sich erneut. Dann schoss sie kerzengerade auf und sprengte dabei die Gurte, die ihren Kopf und ihre Hände an den Apparat fesselten.
„Ceara?“ Als Omadd zur Beruhigung die Schulter der Sylvari berührte, schrie er auf. Ihre Haut fühlte sich heiß an und das schwache goldene Leuchten, das sie sie umgeben hatte, glühte jetzt purpurrot.
Langsam bewegte sie sich, um ihn mit klarem, konzentriertem Blick anzusehen.
„Ceara! „Hört Ihr mich? Was habt Ihr gesehen?“
Die Sylvari hob ihre geöffnete Hand und spreizte die Finger. Aus ihrem Ärmel wand sich eine dünne Ranke hervor und begann, sich um die gespreizten Finger zu flechten.
„Scarlet“, sagte sie. „Ich heiße jetzt Scarlet. Scarlet Dornstrauch.“
„Scarlet also“, blaffte er. „Sagt mir doch bitte: Was habt Ihr gesehen?“
Aus der Ranke zwischen Scarlets Fingern schossen kleine rote Dornen. Sie lächelte.
„Alles“, sagte sie.
Ceara kam aus dem Traum hervor und trat nach vorne. Sie genoss das nasse Gras des Hains unter ihren Füßen. Mit geschlossenen Augen atmete sie tief ein und nahm den frischen Duft der lebenden Dinge um sie herum in sich auf.
„Willkommen, Setzling.“ Die Stimme war freundlich, der Ton sanft. „Mein Name lautet Heilkundiger Serimon. Du bist hier in Sicherheit.“
„Psst. Ich denke nach.“ Ceara öffnete die Augen und erblickte eine lebenssprühende Welt aus Grün, Gold und erdfarbenen Brauntönen. Durch das Blätterdach strömte das Licht der Sonne, nährte die großen Bäume und erwärmte das Dickicht am Boden. Ringsherum riefen sich Geschöpfe jeder Art und Größe zu, erkundeten ihre Umgebung und verfolgten einander, ständig in Bewegung.
Von all dem angenehm überwältigt blinzelte Ceara. Die Welt war ein faszinierend komplexes System kleinerer, ineinandergreifender Systeme, die sich in einem sich ständig verändernden Tanz gegenseitig beeinflussten. Es war weitaus mehr als nur faszinierend: Es war das Leben selbst, und jetzt war sie ein Teil davon.
„Setzling?“ meinte Serimon. „Ich bin dazu da, dir bei der Eingewöhnung zu helfen. Dir dabei zu helfen, deinen Platz in dieser Welt zu verstehen und die Bestimmung zu finden, die dir die Blasse Mutter zugewiesen hat.“
Ihre Augen blieben weiter auf den komplexen Tanz des Lebens im Wald gerichtet. „Ich werde meinen Platz schon selbst finden, vielen Dank. Und es ist wohl kaum ‚meine‘ Bestimmung, wenn sie mir von jemand anderem zugewiesen wird.“
Serimons Gesicht verdüsterte sich, sein Ton blieb jedoch beschwichtigend. „Du bist mit einer Fülle an Selbstvertrauen erwacht“, sagte er. „Maße dir aber nicht zu viel an. Wir alle treffen Entscheidungen im Leben, manchmal jedoch werden Entscheidungen für uns getroffen. Vor allem für uns Kinder des Blassen Baums. Das ist der Lauf der Dinge.“
„Der Lauf der Dinge?“ lächelte Ceara. Für Serimon war seine Welt klar festgelegt. Er würde sie niemals herausfordern, niemals auf die Probe stellen, niemals versuchen, sie neu zu definieren.
Sie lachte fröhlich und sagte: „Danke, dass Ihr meinem Erwachen beiwohntet, Heilkundiger. Doch was mein Leben angeht, so werde ich diejenige sein, die die Entscheidungen trifft.“
Nach acht Jahren unersättlichen Studiums im Hain hatte Ceara von ihrer Sippe alles gelernt, was sie wissen wollte. Ihr Volk war in vielen wichtigen Disziplinen versiert, konnte ihr jedoch das umfangreiche Wissen, nach dem es sie dürstete, nicht vermitteln. Sie wollte Systeme konstruieren, die so komplex waren wie jene, die sie in der Natur beobachtete, Maschinen bauen, die so vortrefflich waren wie die lebenden Dinge, die sie tagein, tagaus erblickte. Ihre größte Freude als Schülerin gewann sie aus dem Testen dieser etablierten Systeme auf der Suche nach ihren Mängeln, um ihre eigenen Entwürfe zu verbessern.
Von den Meisteringenieuren ihres Volkes lernte sie viel, doch was sie zu bieten hatten, war zu einfach und konnte ihren Hunger nicht stillen. Also beschloss Ceara, in die Welt hinauszugehen, um etwas zu finden, das dessen fähig war.
Ihr erster Halt waren die Schmiede von Hoelbrak: Wenn sie Maschinen bauen wollte, musste sie Metall verstehen. Mit ihrem Interesse und ihrer Energie beeindruckte sie einen grauhaarigen alten Norn namens Beigarth, und auf seine Einladung hin verbrachte sie einen langen Winter als sein Lehrling und hielt seine Esse in Gang. Als der Frühling anbrach, kündigte sie an, dass sie alles von ihm gelernt hatte, was sie wissen musste, und daher weiterzuziehen gedachte. Erpicht, sein gesamtes Schmiedekönnen an eine so einzigartige und vielversprechende Schülerin weiterzugeben, versuchte Beigarth sie zum Bleiben zu überreden, doch sie verließ ihn mit einem Winken und einem fröhlichen Lächeln. Um die Kreationen zu schmieden, die sie sich ausmalte, musste sie keine Schmiedemeisterin sein.
Die nächsten zwei Jahre verbrachte sie mit einem Gladium namens Asagai, der der Eisen-Legion angehört hatte. Asagai, der ein ausgezeichneter Scharfschütze und Sprengmeister war, spürte sofort, wenn eine Feuerwaffe nicht korrekt zusammengebaut war, und konnte die falsche Ausrichtung eines Feldgeschützes korrigieren, indem er auf den Klang seines Donners hörte. Nachdem Ceara sämtliche Geheimnisse des einsamen Soldaten erlernt und die Absicht erklärt hatte, ihre Studien andernorts fortzusetzen, verfluchte der Charr-Veteran sie als schwache Welpin und drohte, sie mit einer rostigen Klinge auszuweiden. Ceara wich Asagais wilden Ausfällen anmutig aus und nahm respektvoll von ihm Abschied. Feuerwaffen und Artilleriegeschütze mochten Spaß machen, waren jedoch viel zu primitiv. In dem Wissen, dass es nur einen einzigen Ort gab, an dem sie ihr Wissen so schnell mehren konnte wie sie es wünschte, brach sie nach Rata Sum auf.
Sie fand bald heraus, dass die Aufnahme in die drei großen Kollegs der schwierigste Teil war. Von ihren tief verwurzelten Vorurteilen gegen alle Nicht-Asura ganz abgesehen wussten sie mit einer kleinen Sylvari und ihrem Streben nach herausragenden akademischen Leistungen, die den kollektiven Intellekt ihrer gesamten Studentenschaft „verwässern“ oder „kontaminieren“ würde, wenig anzufangen. Als Ceara spontan aus einem kleinen Kraftkristall, einer Handvoll Roherz und einigen ausgewählten Zaubern einen komplett funktionsfähigen Golemiten konstruierte, gewährte ihr der Arkane Rat jedoch widerwillig den provisorischen Status einer Studentin der Dynamik.
Sie schloss den Dynamiklehrgang in weniger als einem Jahr als beste Studentin ihres Jahrgangs ab. Verärgert gewährten die Ratsmitglieder ihr die gleiche Gelegenheit für den Statiklehrgang. Als sie dort innerhalb eines ähnlichen Zeitrahmens ähnliche Resultate erzielte, waren sie fasziniert genug, um herausfinden zu wollen, ob ihr dasselbe am Kolleg der Synergetik gelingen würde.
Für den Abschluss des Synergetiklehrgangs benötigte sie jedoch um einiges länger. Ceara hatte nämlich endlich ein Studienfach gefunden, das so grenzenlos war wie ihr Interesse daran. Sie stürzte sich in die ansteckende Mischung mystischer Energiemuster und arkaner Wahrscheinlichkeiten der Synergie, in ihren Schwerpunkt der Chaostheorie und die Zuordnung unvorhersehbarer Verbindungen, in die Verfolgung verborgenen Wissens und geheimer Mechanismen, die sich zu gleichen Teilen aus der Erwägung des Vergänglichen und der Anwendung des Praktischen herleiten ließen.
Hier, unter Rektor Omadd, begann sich Ceara erstmals mit der Ewigen Alchemie auseinanderzusetzen. Je weiter sie sich darin vertiefte, umso überzeugter war sie davon, dass die Krönung asurischen Denkens nicht im metamagischen Antrieb und ebenso wenig in der transzendenten Gleichung lag, sondern in einem Schlüssel, der den Zugriff auf das fundamentale Gefüge der Realität selbst gewährte.
Obwohl sie die hundertprozentige Unterstützung von Omadd hatte, stieß Cearas Dissertation weder beim Kolleg noch beim Arkanen Rat auf Anklang. „Nicht untermauerbare Spekulationen“, nannten sie sie. „Unbegründete Behauptungen, die an akademische Ketzerei oder geringstenfalls an Kriminalität grenzen.“
Sie nahm die Kommentare kaum zur Kenntnis: Sie hatte bereits mit ihrer Abnabelung vom akademischen System begonnen und hoffte, eine Forschungseinrichtung zu finden, die empfänglicher für ihre Ideen war. Sie fand sie in der Inquestur.
Cearas Zeit bei der Inquestur war kurz, doch ausgesprochen produktiv: Dort lehrte man sie Dinge, die andere Kollegs noch nicht einmal diskutierten, und erlaubte ihr Feldversuche ohne lästige und unnötige Sicherheitsvorkehrungen.
Das Ganze endete jedoch plötzlich und tragisch, als Ceara und ihr Krumitglied Teyo in das Archiv der Stadt einbrachen, um mehrere Entwürfe, die sie dort fanden, zu manipulierten. Die Aktion sollte der Inquestur bei den bevorstehenden Wettkämpfen um den Snaff-Preis einen Vorteil verschaffen, doch Ceara drückte auch einigen Projekten, die nichts damit zu tun hatten, ihren eigenen Stempel auf.
Als sie gefasst wurden, brachte sich Teyo mithilfe eines Teleporters in Sicherheit und ließ Ceara die Konsequenzen tragen. Der Rat erkannte Cearas akademische Titel ab und die Friedensstifter warfen sie aus Rata Sum. Lachend und pfeifend verließ sie die Stadt ohne ihre Forschungsnotizen oder Habseligkeiten.
Mehrere Monate lang streifte sie herum, ehe sie sich beim Michotl-Stamm der Hylek vor den Toren Rata Sums niederließ (dazu musste sie sich unter einer Kutte mit Kapuze verbergen, um den Friedensstiftern nicht aufzufallen). Die Alchemie der Hylek war eine Ablenkung, die sie jedoch als Sackgasse auf dem von ihr gewählten Weg betrachtete.
Tränke, Gifte und Elixiere zu mischen, um bestimmte Wirkungen hervorzurufen, war dem Bauen von Geräten ähnlich, doch ihrem Geschmack nach umfasste es zu viel Gartenbau und nicht genug Ingenieurskunst. Hätte sie ihr Leben mit dem Ernten von Pollen oder dem Destillieren von Extrakten aus exotischen Blüten verbringen wollen, hätte sie den Hain niemals verlassen müssen.
Glücklicherweise war die Entfernung zu Rata Sum so gering, dass es Omadd gelang, sie zu finden. Ihr Mentor bot ihr die Chance, sich aufs Neue der Ewigen Alchemie zu verschreiben. Ceara stimmte zu und verließ das Dorf der Michotl ohne auch nur ein Wort der Erklärung.
Nach monatelanger gewissenhafter Vorbereitung war Omadds Experiment endlich bereit. Ceara würde sich in sein Isoliermodul begeben, eine gewaltige Anordnung thaumechanischer Geräte, die alle mit einer sargähnlichen Kammer verbunden waren. Nach seiner Aktivierung würde sie ungebunden an ihren physischen Körper in den metaphysischen Strudel der Realität eintauchen wie niemand jemals zuvor.
Wiederholt warnte er sie vor den Gefahren für ihr Leben und ihren Verstand. „Ihr müsst überleben“, befahl er ihr. „Der einzige Mangel des Moduls besteht darin, dass es nicht aufzeichnen kann, was Euer Verstand erlebt. Wenn Ihr nicht zurückkommt oder nicht in Worte fassen könnt, was Ihr herausgefunden habt, war alles umsonst.“
„Verstanden.“ Cearas Gesicht leuchtete, ihre Augen waren weit und gierig. „Fangen wir an.“
Im Inneren von Omadds Maschine erstreckte sich das Universum vor ihr, ein unendlich riesiger, mit Sternen übersäter Ozean. Sie bewegte sich durch ihn, kämpfte gegen seine Strömungen an, trieb mühelos über ihnen oder stand vollkommen still, während merkwürdige Lichter und magische Energie sie umwirbelten.
Sie sah Tyria als lebensgroße Kugel, zwischen kosmischen Stürmen und riesigen Wolken der Potenzialität festgelegt. Sie fragte sich, ob sie sich selbst in Omadds Labor sehen würde, sobald Rata Sum ins Blickfeld rotierte, bewegte sich dann jedoch ungeduldig weiter und tauchte tiefer in die wirbelnde Leere.
Halt inne, Kind.
Ceara hielt inne. Sie hatte die Stimme des Blassen Baums schon jahrelang nicht mehr vernommen.
Ich bitte dich: Geh nicht weiter. Dein Versuch, die Kräfte, die uns formen, zu verstehen, wird sie entfesseln. Dem kann die Gesellschaft nicht standhalten.
Ceara spürte ein elektrisches Prickeln und fragte sich, ob ihr Körper in Omadds Labor lächelte. Bewusst und entzückt dachte Ceara: Psssst. Ich denke nach, und ging weiter.
Bald erblickte sie eine vage, leuchtende Gestalt vor sich. Ein Baum, dachte sie … der Blasse Baum. Sein großer, schmutzig-weißer Stamm verband ein ausladendes Netzwerk aus Ästen und Blättern mit einem unterirdischen Wurzelsystem. Unter seinen Blättern waren anstelle von Nüssen oder Beeren Sylvari. Tausende von ihrem Volk hingen von den Ästen des Baums wie reifes Obst kurz vor dem Fall. Ihre Körper bewegten sich nicht, doch ihre Augen zuckten und rollten, nahmen ihre Umgebung begierig in sich auf.
Manche fielen wie Blätter im Herbst und trieben langsam zu den Wurzeln hinunter. Dort standen sie, reckten sich und machten sich auf den Weg in die Leere, wo sie verschwanden, sobald sie das breite Blätterdach verlassen hatten. Manche von ihnen schafften es gar nicht so weit, strauchelten, fielen und verwelkten im Schatten des großen Baums.
Cearas Faszination schlug in Enttäuschung um. Das war es also? Ließ sich das Leben aller Sylvari so einfach zusammenfassen? Geburt, Reisen, Erfahrung, Tod, alles sollte sich unter der Weisung und Philosophie des gottgleichen Wesens abspielen, das sie geschaffen hatte?
Sie weigerte sich, das zu akzeptieren. Alles, was sie gelernt hatte, besagte, dass kein System, egal wie komplex, unendlich fortbestehen kann. Wer sich nicht weiterentwickelte, scheiterte zwangsläufig.
In diesem Moment erblickte Ceara die Dornenranke. Sie ragte aus den Wurzeln am Fuß des Baumes und begann zu klettern, sie wickelte sich um den Stamm und zerkratzte die Rinde mit ihren staubigen roten Stacheln. Schwarzgrünes Sekret sickerte aus den Wunden, und der große Baum erbebte.
Dann war Ceara die Ranke, und sie drückte den Stamm des großen Baumes an sich wie eine verzweifelte Geliebte. Der Baum wehrte sich gegen sie: Sie sollte doch ein Teil von ihm sein, Teil seiner erhabenen Bestimmung. Stattdessen war sie ein Ärgernis, eine Provokation.
Siehst du es jetzt? Die Stimme des Blassen Baumes war schwach und fern, sie holte Ceara jedoch zurück. Und sie sah den Baum jetzt aus der Ferne.• Wenn du nicht eins mit dem bist, wozu du geboren wurdest, bist du verloren. Schlimmer noch, du bist gefährlich.
Pure Wonne durchwogte Ceara. Gefährlich? Ihre Gedanken hallten laut wie Donner durch die Leere. So sei es.
Unter dem Klang der verzweifelten Worte des Blassen Baumes und ihres eigenen rauen Gelächters, das in der Leere schallte, stürzte sich Ceara durch die Vision des großen Baumes und über sie hinaus.
Bewegungslos und mit weit aufgerissenen Augen starrte Omadd seine ehemalige Schülerin an.
„Es hat funktioniert“, sagte Scarlet. „Dafür sollte ich Euch wohl danken. Obwohl ich es früher oder später bestimmt selbst geschafft hätte. Doch das ist kein Grund, einem Genie zu verweigern, was ihm gebührt, nicht wahr?“
Omadd antwortete nicht.
Scarlet kicherte, als sie ihre Hand hob und zusah, wie die rote Dornenranke sich zwischen ihren Fingern bewegte. „So viel ergibt jetzt Sinn. Der Blasse Baum, der Albtraumhof, Caithe und Faolain … alles ist Teil eines gewaltigen Plans.“
„Ich sehe jedoch die Makel in diesem Plan. Mein Volk muss nicht akzeptieren, was uns gegeben wird oder sein, ‚wozu wir bestimmt sind‘. Kein Volk muss das. Wir können die Regeln ändern … nun ja, ich kann das. Und ich werde es tun.“
Omadd erwiderte nichts. Die staubig-roten Dornenranken, die sich straff um seine Kehle, Handgelenke und Knöchel legten, hinderten ihn daran. Still und reglos hing er in einem verschlungenen Dornengestrüpp zwischen den vier Wänden und der Decke. Sein Blut tropfte zu Boden und bildete eine Lache.
„Ich habe so viel gelernt“, fuhr Scarlet fort. „Jetzt muss ich dieses Wissen umsetzen. Eine unüberwindbare Herausforderung kündigt sich an, und mein Volk ist aufgerufen, sich ihr zu stellen. Unsere Schöpferin zwingt uns dazu.“
„Ich weigere mich jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen. Ich weigere mich gegen die Vorstellung, dass ich den Traum wählen muss oder mich sonst an den Albtraum verliere. Die Kräfte, die uns in die eine oder andere Richtung drängen, können umgeleitet werden. Sie können zu Ungunsten beider gegeneinander eingesetzt werden, und ich weiß jetzt, wie.“
Scarlet gestikulierte und die Dornen um Omadd strafften sich. Sie hoben seinen leblosen Körper hoch und wendeten ihn, damit der nächste Besucher des Raums ihn sofort erblicken würde.
Als sie fortfuhr, schwoll Scarlets Stimme an. „Vor mir liegt viel Arbeit. Ich weiß nicht, was die Welt sein wird, wenn ich damit fertig bin, es herauszufinden wird mir aber ein großes Vergnügen sein. Reiche werden untergehen, Kontinente werden in Flammen stehen, und wenn die Feuersbrunst zu Ende ist, werde ich zugegen sein, um der neuen Welt, die aus dieser entsteht, meinen Stempel aufzudrücken.
Mit einem manischen Funkeln in den Augen erklärte sie freudig: „Lebt wohl, alter Freund. Alle guten Studenten sollten das Erbe ihres Meisters antreten und die Weisheit, die ihnen zuteilgeworden ist, weitergeben. Und ich bin eine sehr, sehr gute Studentin.“
Lachend und entschlossen warf Scarlet Omadds Leichnam eine Kusshand zu und tanzte leichtfüßig in die kühle Abendluft hinaus.