Ich würde es total hassen, Musik für Videospiele der 80er-Jahre zu komponieren.
Versteht mich nicht falsch. Ich mag klassische Spiele-Musik. Die vielen Stunden, die ich damit verbrachte, Spiele-Klassiker auf NES, Super Nintendo und Gameboy zu spielen und mir ihre Musik anzuhören, haben mich gewaltig beeinflusst. Aber die Einschränkungen, denen Komponisten wie Koji Kondo, Hip Tanaka, Kazunaka Yamane und Hiroshige Tonomura (um nur einige meiner Favoriten zu erwähnen) beim Komponieren der kultverdächtigen Musikstücke, die wir kennen und lieben, unterlagen, sind so unglaublich, dass ich dankbar bin, nichts mit ihnen zu tun zu haben. Es folgt ein Intensivkurs, wie Musik für Videospiele früher gemacht wurde, aus der Perspektive unserer vor Kurzem erfolgten Veröffentlichung der Super Adventure Box in Guild Wars 2.
Ich werde mich in erster Linie auf das Nintendo Entertainment-System konzentrieren, denn das ist vermutlich die Konsole, die die meisten Leute im Kopf haben, wenn sie an klassische Videospiele denken. Lest euch für einen wesentlich technischeren Ansatz zum Nintendo Sound-Format die folgende Seite auf Wikipedia durch (wobei der Artikel auf der englischen Seite hier weit ausführlicher ist als der deutsche).
Beschränkte Wahlmöglichkeiten
Damals konnte der Soundchip einer NES-Konsole nur jeweils fünf Kanäle gleichzeitig abspielen. Es gab vier sehr simple Synthesekanäle und einen Kanal, über den Samples mit sehr geringer Auflösung abgespielt werden konnten. Der Sample-Kanal wurde wesentlich seltener als die vier anderen Kanäle benutzt, also werde ich mich weniger mit ihm befassen.
Die restlichen vier Kanäle sahen folgendermaßen aus:
Kanal 1 und 2: Rechtecksignal (auch Pulswelle genannt)
Diese Kanäle übernehmen die Mehrheit des steilen Anstiegs und sorgen für die Hauptmelodie, Gegenmelodie, Harmonie und die Arpeggios. Sie sind die flexibelsten Kanäle, in denen man mit der Gesamtklangfarbe, der Lautstärke und dem Vibrato für jede einzelne Note spielen und auch sonst ein paar lustige Dinge anstellen kann, wie Pitch-Bends und sogar Echo- und Hallsimulationen, wenn man ganz besonders trickreich werden will.
Grafik: Wikipedia
Kanal 3: Dreieckschwingung
Dieser Kanal konzentriert sich so gut wie ausschließlich auf die Bassline. Er kann auch für andere Klänge benutzt werden, ist aber bei Weitem nicht so flexibel wie die Rechtecksignalkanäle und man kann nicht mit Lautstärke oder Vibrato herumspielen.
Grafik: Wikipedia
Kanal 4: Rauschen
Dieser Kanal generiert eine Rauschstörung. Dabei kann die Tonhöhe leicht verändert werden, doch ein richtiger Ton wird nie daraus – es bleibt entweder bei „niedrigeren“ oder „höheren“ Rauschwerten. Dieser Kanal wird so gut wie ausschließlich zur Erstellung von Schlagzeug-/Percussionparts verwendet.
Und das wars auch schon – eure komplette Klangpalette. Kein achtzigköpfiges Orchester, keine hammermäßige Band und kein elektronischer Künstler, der Titel für euch schreibt. Einfach nur vier Kanäle. Es gab auch keine Polyphonie oder mehrere Noten, die gleichzeitig von einem einzelnen Instrument gespielt wurden, also auch keine Akkorde. Außerdem musste jedes Musikstück und jeder Soundeffekt in ganze 128 KB Speicher passen. Na dann viel Glück!
Das Tracken von Zahlen
Aber unterhalten wir uns ein bisschen darüber, wie die Musik damals tatsächlich komponiert werden musste. Heutzutage benutzen Komponisten üblicherweise eine sogenannte DAW (Digital Audio Workstation) und nehmen entweder live Instrumente auf oder verwenden virtuelle, auf den Computer hochgeladene Instrumente, um ihre Musik zu komponieren und aufzunehmen. Die wenigen Einschränkungen, denen Komponisten unterliegen, hängen vor allem mit Zeit und Budget zusammen, nicht aber mit verfügbarer Technologie. Damals war es allerdings nicht ganz so einfach. Ich reiche euch jetzt an meinen Kollegen Lena Chappelle weiter, der ebenfalls ein paar Stücke für die Super Adventure Box geschrieben hat.
Lena Chappelle:
Zur Zeit des NES und anderer 8-bit-Systeme gab es keine Standardmethode, um Musik in ein Spiel zu bringen. Komponisten mussten entweder Hexadezimalcode programmieren, der den uns vertrauten Ton abrief oder ihr eigenes Programm schreiben, um diese Daten zu produzieren. Diese Programme nennen wir „Tracker“.
Eine der vielen Anwendungen, die ich zum Schreiben von Chiptunes verwende, ist ein Programm namens FamiTracker, eine etwas modernere Version eines Trackers, wie er von den Komponisten des 8-bit-Zeitalters verwendet wurde. Es handelt sich dabei nicht gerade um eins der traditionelleren Kompositionsmittel, deshalb werde ich euch den Vorgang etwas detaillierter erklären.
Was ihr in dem Bild oben seht, ist genau ein Takt des „Stufe abgeschlossen“-Motivs der Super Adventure Box. Wenn ihr mit Trackern nicht vertraut seid, könnt ihr darauf vermutlich keine Musik oder Noten und erst recht keine Piano-Rolle erkennen. Jede Spalte steht für einen der vier möglichen Kanäle: Rechteck 1 und 2, Dreieck und Rauschen.
Mit einem Tracker zu komponieren, ist fast so wie das Ausfüllen einer Tabelle. Das gesamte Stück wird in Rahmen und Reihen organisiert. Jeder Rahmen setzt sich aus Reihen zusammen und ist eine einzelne Einheit, die wieder aufgerufen werden kann, wenn die Struktur des Stücks organisiert wird (siehe oben). Wenn ihr also ein Schlagzeugmotiv wiederholen wollt, müsst ihr es also nur einmal schreiben und dann einfach immer wieder denselben Rahmen aufrufen.
Innerhalb des Rahmens stellt jede Reihe einen individuellen Takt dar. Wenn ihr es also mit traditioneller Notenschreibung vergleichen wolltet, würde eine Reihe einer Sechzehntelnote entsprechen. In dem Beispiel oben sind die Downbeats in jeder vierten Reihe markiert.
Wenn alle Instrumente definiert sind, geht es mit dem Komponieren los! Im Fall von FamiTracker sieht die Tastatur wie eine Pianotastatur aus, auf der ich mit den Pfeiltasten navigiere und Noten vertikal chronologisch eingebe.
Mit gefesselten Händen
Danke, Lena.
Stellt euch also das folgende Szenario vor: Das Jahr ist 1986 und ihr wurdet damit beauftragt, die Musik für ein neues Abenteuerspiel mit einem kleinen Elf in einem grünen Anzug zu schreiben. Euch stehen 128 KB Speicher, vier Instrumente und keine Akkorde zur Verfügung und ihr müsst das Ganze mit einem Programm schreiben, für das ihr zusätzlich zu eurem musikalischen Talent ein Informatikstudium braucht. Es grenzt an ein Wunder, dass diese Frauen und Männer überhaupt etwas zustande brachten, geschweige denn Musik mit Kultstatus zu schreiben, die 30 Jahre danach so ziemlich jeder Zocker auf der Stelle summen kann.
Besucht auf jeden Fall die offizielle SoundCloud-Seite von ArenaNet, um euch die Musik für die Super Adventure Box und noch mehr anzuhören.
Dass Form vor Funktion kommt, ist ein Klischee, entspricht im Fall der klassischen Spielmusik allerdings absolut der Realität. Der Stil, den wir alle mit der Spielmusik von damals in Verbindung bringen, war vor allem ein Resultat der Einschränkungen, denen Komponisten unterlagen. Trotz der Freiheit, die uns die moderne Technologie gewährt hat, wollte ich mich mit der Musik für die Super Adventure Box so eng wie möglich an diese Einschränkungen halten.
Für jedes Stück war eine starke Melodie erforderlich – einige davon beruhen auf bestehender Guild Wars-Musik, andere wiederum sind völlig neu. Jedes Stück durfte nur vier Kanäle haben (manchmal haben wir dabei geschummelt, aber auch einige der alten NES-Spiele hatten zusätzliche Soundchips in ihren Modulen, die zusätzliche Soundkanäle zur Verfügung stellten, das ist also technisch akzeptabel). Außerdem musste jedes Stück im Gegensatz zu den 2 – 4 Minuten langen Ambient-Stücken in Guild Wars 2, die willkürlich ein- und ausgeblendet werden und bei denen es gelegentlich Musikpausen gibt, in einer Schleife abgespielt werden.
Wir ließen uns von so ziemlich allem inspirieren – vom Naheliegenden wie etwas Super Mario Bros. und der Legend of Zelda-Serie über andere Favoriten wie Battletoads, Double Dragon bis hin zu Metroid. Es ist unglaublich, in wie viele verschiedene Stile diese akustische Palette gezerrt werden kann, selbst unter den Beschränkungen, denen wir unterlagen.
Game Over
Das ist also des Pudels Kern. Die Entwicklung der Musik für die Super Adventure Box hat riesigen Spaß gemacht und das ganze Team hat unglaubliche Arbeit dabei geleistet, der Welt von Guild Wars 2 in diese 8-bit-Atmosphäre zu tauchen. Besucht auf jeden Fall die offizielle SoundCloud-Seite von ArenaNet, um euch die Musik für die Super Adventure Box und noch mehr anzuhören.
Man sieht sich im Spiel!
Falls ihr mehr zu dem Thema herausfinden möchtet, findet ihr hier einiges an Referenzmaterial (in englischer Sprache):
Retro Game Audio: [URL: http://retrogameaudio.tumblr.com/] Dieses Blog wurde schon länger nicht mehr aktualisiert, ist aber ausgesprochen informativ im Hinblick auf die technischen Aspekte der Soundchips klassischer Spielkonsolen.
Chipsounds: [URL: http://www.plogue.com/products/chipsounds/] Das unglaubliche virtuelle Instrument, mit dem wir die gesamte Musik und alle Soundeffekte der Super Adventure Box erschaffen haben.
FamiTracker: [URL: http://famitracker.com/] Das von Lena erwähnte Programm, mit dem er seine eigenen Chiptunes komponiert.